Lebensraum Obstwiese
Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa, auf einer einzigen Wiese können bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten gezählt werden. Um diese Rückzugsräume langfristig zu erhalten, ist eine fachlich gute Pflege erforderlich, die viel Einsatz erfordert: Denn die Bäume müssen regelmäßig beschnitten, die Wiese gemäht und das Obst geerntet werden. Erst dann können diese extensiv genutzten Obstwiesen ihr ökologisches Potential voll entfalten.
Seit Jahrzehnten verschwinden nach und nach viele alte Obstsorten, die unsere Vorfahren über Jahrhunderte gepflegt haben, aus unserer Landschaft. Gleichwohl sind durch vielfältige Initiativen in den letzten Jahren zahlreiche Bäume gepflanzt worden, um vor allem den Bestand an alten Obstsorten zu erhalten. Diese ökologisch wertvollen Bestände zu erhalten und zu pflegen fordert großes Engagement, aber auch Fachwissen, das leider mehr und mehr verloren geht.
Foto: Halfwassen
Wildbienen, Bienen und die Bestäubung
Indem die Wild- und Honigbienen Pollen und Nektar für ihre Aufzucht sammeln, bestäuben sie die Blüten der Obstbäume und Beerenobststräucher auf den Streuobstwiesen. Obstbäume und Gemüsepflanzen brauchen deshalb Insekten, um Früchte anzusetzen. Honigbienen gelten dabei als die größten Bestäuber. Nun aber haben zwei Studien in „Science“ gezeigt, dass der Schutz der Honigbiene, wenn es um die Bestäubung geht, nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg ist. Demnach gibt es Insekten, die viel mehr zur Fruchtbildung (und indirekt auch zur Ernte) beitragen, als bisher gedacht. Insgesamt werden rund 80 Prozent der Wild- und Nutzpflanzen von Insekten bestäubt: von Honigbienen, aber auch von Wildbienen (inkl. Hummeln), Schwebfliegen, Käfern und speziellen Schmetterlingen. Dabei dürfte nach wie vor ausschlaggebend sein, dass es ein durchgängiges Trachtenband für die Bestäuber gibt, damit sie vor und nach der Obstblüte genügend Nahrung im Umfeld finden. (BUND). Ebenso besteht ein hoher Aufklärungsbedarf in Bezug auf die Biologie und Lebensweise der Wildbienen und deren Bedeutung für die Bestäubung. Laut eines Berichtes eines Forschungsteams in der Zeitschrift „Science“ bringen Kulturpflanzen besonders reichen Ertrag, wenn sie von Wildbienen bestäubt werden. Eine internationale Studie zeigt, dass die wildlebende Verwandtschaft effektiver arbeitet als die „herkömmlichen“ Honigbienen. 100 Honigbienen plus 50 Wildbienen bestäuben ein Feld demnach viel effektiver als 150 Honigbienen. Wildlebende Insekten erreichen mit der gleichen Zahl von Blütenbesuchen einen doppelt so hohen Fruchtansatz wie Honigbienen. Wildlebende Insekten brauchen deshalb natürliche Ressourcen wie Nahrung und Nistmöglichkeiten. Die über 500 verschiedenen Arten der Wildbienen haben somit neben den Honigbienen eine sehr hohe Bedeutung für die Blühpflanzen und damit u.a. auch für den Obstertrag.
Osmia bicornis (Rostrote Mauerbiene) Männchen
Foto: Volker Fockenberg
Andrena haemorrhoa (Rotfransige Sandbiene) Männchen
Foto: Volker Fockenberg
Pflege
Seminare zur Obstbaumpflege haben eine lange Tradition, und sie gehören seit nahezu 30 Jahren zum festen Programm des EBZ Potshausen, wobei sich die Seminarangebote stetig weiterentwickelt haben. Seit 1993 werden die Seminare von Heinz Halfwassen geleitet; als Referent wirkt der Pomologe Michael Theiss mit. Zu diesem Themenkomplex wurden insgesamt über 60 Seminare durchgeführt, so dass bislang über 700 Teilnehmer ausgebildet wurden.
Folgende Seminare gehören zu dieser Thematik: „Schneiden und Veredeln von Obstgehölzen“ (seit1993); „Herbstzauber – alte Obstsorten neu entdeckt“ (seit 2008 mit dem Schwerpunkt: Obstsortenbestimmung); „ Ausbildung zum Obstbaum-Fachwart“ (seit 2013 je Lehrgang 6 Wochenend -Module ); „ Die ökologische Bedeutung von Streuobstwiesen“ (seit 2015); „Honig-und Wildbienen im Umfeld veränderter Landnutzung“ (seit 2018); „Wildbienen und Blumenwiesen“ (seit 2019).
Obstbaum-Pflanzung während der Fachwart-Ausbildung 2019
Foto: Halfwassen
Am 12.03.2020 ehrte der Geschäftsführer der Niedersächsischen Bingo- Umweltstiftung (NBU), Karsten Behr, das Projekt „Ausbildung zum Obstbaum-Fachwart“ als Projekt des Monats März. Der Lehrgang, der vom Ev. Bildungszentrum Ostfriesland-Potshausen bereits zum vierten Mal angeboten wird, qualifiziert Ehrenamtliche für die Pflege von Streuobstwiesen. Hier setzt das ausgezeichnete Projekt an, indem der Pomologe Michael Theiss und der Biologe Heinz Halfwassen Streuobstbegeisterte qualifizieren, selbst die Pflege von Streuobstwiesen zu übernehmen. Bisher nahmen 105 Teilnehmer erfolgreich an der Ausbildung teil, die von der Bingo-Umweltstiftung mit insgesamt 87.800,- € gefördert wurde. Für die Ausbildung der ehrenamtlichen Baumpfleger wurde das Projekt nun mit einem Scheck über 500,- € ausgezeichnet.
Netzwerk
Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass von unseren Kooperationspartnern Ökowerk Emden; Verein „Appelhoff“, Befis Naturgarten, Naturheilverein Hesel, Jägerschaft Aurich und Umgebung sowie den Naturschutzverbänden „BUND“ und „Nabu“ Teilnehmer zu diesen Fortbildungsveranstaltungen geschickt werden, um so die Qualifikation für die Pflege der Streuobstwiesen zu erhalten und langfristig und nachhaltig zu gewährleisten. Zukünftig stehen vielfältige Pflegemaßnahmen bevor, denn in Ostfriesland wurden in den letzten Jahren – insbesondere durch das Jubiläumsprojekt „Streuobstwiesen blühen auf “ der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung – schätzungsweise 6000-8000 Obstbäume gepflanzt und etwa 180 Streuobstwiesen angelegt. Die Auricher Jägerschaft hat durch Förderprojekte der Bingo-Umweltstiftung und ihr großes Engagement über 100 Hektar Streuobstwiesen angelegt. Dennoch gibt es viel zu tun. Die Wiesen werden mit viel Engagement angelegt, dabei bleibt es aber häufig, denn nach der Pflanzung beginnt die eigentliche Arbeit. Es fehlt die kontinuierliche und langfristige Pflege. Hierfür fehlt häufig das Fachwissen und der Sachverstand. Gerade diese Lücke will das EBZ Potshausen durch die Vielzahl der Seminare zur Obstbaumpflege schließen.
Schnittübungen, Foto: Halfwassen
Schnittübungen, Foto: Halfwassen
Auch die Gründung des Vereins „Appelhoff“ im benachbarten Ostrhauderfehn hat einen wesentlichen Bezug zum EBZ Potshausen. Während des Seminars „Herbstzauber – alte Obstsorten neu entdeckt“ im Jahre 2009 regte der bekannte Pomologe Eckart Brandt an, im Landkreis Leer einen Verein zur Pflege und zum Erhalt alter Obstsorten zu gründen. Der jetzige Vorsitzende Johannes Bolland übernahm die Initiative und gründete im selben Jahr mit weiteren Interessenten den Verein „Appelhoff“. Durch die enge Kooperation zwischen dem EBZ Potshausen und dem „Verein Appelhoff“ ist durch die Fortbildungsveranstaltungen mittlerweile ein großes Netzwerk entstanden, um den Erhalt alter Obstsorten und die Pflege der Streuobstwiesen langfristig zu gewährleisten.
Exkursion zur Streuobstwiese „Appelhoff“ (links: Johannes Bolland, Vorsitzender des Vereins; rechts: Michael Theiss, Pomologe und Referent für die Obstbaumpflege-Seminare im EBZ Potshausen)
Foto: Halfwassen
Ziel der Seminararbeit des EBZ Potshausen besteht deshalb darin, durch die Vermittlung von fundierten Fachkenntnissen die Pflege und Erziehung von Obstbäumen zu fördern und den Streuobstbau nachhaltig zu bewahren und damit einen wirksamen Beitrag zum Natur- und Landschaftsschutz zu leisten. Einen großen Stellenwert haben in den Lehrgängen die praktischen Unterrichtsinhalte. Schnittmaßnahmen sowie Kenntnisse bei der Pflanzung und Pflege werden u.a. auch auf der Streuobstwiese des Vereins Appelhoff durchgeführt. Viele der gegenwärtigen Vereinsmitglieder haben an den genannten Seminaren des EBZ Potshausen teilgenommen.
Doch Obstgehölze alleine nutzen wenig, wenn die Wiese und die Umgebung nicht struktur- und blütenreich sind, ansonsten erfolgt nach den wenigen Wochen der Obstblüte im Frühjahr ein Kollaps. Die Wildbienen verhungern, weil nach Abblühen der Bäume ein neues Nahrungsangebot fehlt. Hier müssen Saumstrukturen und vor allem artenreiches Grünland das Nahrungsangebot zwingend ergänzen, was aber häufig vernachlässigt wird (UNTERLADSTETTER 2018, JAGEL & al. 2019).
An vielen Stellen ist also Aufklärung nötig, um wirklich sinnvolle und umsetzbare Ansatz-punkte zu bieten, dem „Insektensterben“ auf verschiedenen Ebenen entgegenzuwirken.
Bestimmungsübungen beim Seminar „Herbstzauber-Alte Obstsorten neu entdeckt“
Foto: Halfwassen
Übungen zur Veredlung werden im Seminar auch durchgeführt
Foto: Halfwassen
Obstbäume in Ostfriesland in der Historie
Die Obstbaumzucht in Ostfriesland wurde in früheren Zeiten meist nur in Gärtnereien betrieben. Auch in der Landwirtschaft ist der Obstanbau kein bedeutender Nebenzweig gewesen. In Ostfriesland gab es den „Appeltuun“ oder den „Appelhoff“, wobei die mit großkronigen Obstbäumen bepflanzten Wiesen als Kälberweide oder als Gänse- und Hühnerauslauf genutzt wurden. Die Früchte wurden für den Eigenbedarf im Haushalt verwendet, so dass auf diese Weise die Wiesen durch die Beweidung doppelt genutzt werden konnten.(Dat Appel-Bookje (S. 13 und 17) Der Begriff „Streuobstwiese“ wird erst seit den 1970 er Jahren verwendet und hat sich aus der Redewendung „Obst in Streulage“ entwickelt (S.17).
Matthias Bergmann bei der Vorstellung des Buches „Dat Appel-Bookje“ während des Seminars „Herbstzauber – alte Obstsorten neu entdeckt“.
Foto: Halfwassen